An die Gründung des ersten unabhängigen Lehrlingsvereins am 10. Oktober vor hundert Jahren erinnert eine Tafel in Berlin-Mitte

veröffentlicht am Meldungen

Meldungen An die Gründung des ersten unabhängigen Lehrlingsvereins am 10. Oktober vor hundert Jahren erinnert eine Tafel in Berlin-Mitte

Am 10. Oktober wurde der restaurierte Gedenkstein enthüllt

An die Gründung des ersten unabhängigen Lehrlingsvereins am 10. Oktober vor hundert Jahren erinnert eine Tafel in Berlin-Mitte

Erst nach dem Entfernen des Graffiti-Schutzes konnte Steinmetz Gebauer
die Inschrift der Tafel wieder mit Blattgold belegen. Pünktlich zum
Gründungsgeburtstag erstrahlt nun die Gedenktafel wieder in alter
Frische in der Berolinastraße 12 im Berliner Bezirk Mitte. Sie trägt die
Aufschrift "Die erste deutsche Arbeiterjugendorganisation Verein der
Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter Berlins wurde am 10. Oktober 1904 an
diesem Ort gegründet". Mit der feierlichen Enthüllung der restaurierten
Tafel erinnern die Falken und die Berliner Jugendorganisationen an die
hundertjährige Geschichte der Arbeiterjugendbewegung und ihren Einsatz
für gleiche Chancen, Bildung und Rechte der arbeitenden Jugend. Zu den
Gratulanten an der Gedenktafel gehört auch Karl Richter, der in diesem
Jahr ebenfalls seinen hundertsten Geburtstag feiern konnte und der sich
als Jugendlicher in den 1920er Jahren in der Sozialistischen
Arbeiterjugend und der Gewerkschaftsjugend engagierte.

Für die Sozialistische Jugend Deutschlands - Die Falken gilt die
Gründung des Lehrlingsvereins am 10. Oktober 1904 als Geburtsstunde
ihres Verbandes. Der Bundesvorsitzende der Falken, Veit Dieterich, will
mit der Feier keine reine Traditionspflege betreiben. "Schutz den jungen
Händen gegen die Ausbeutung, Schutz den jungen Köpfen gegen die
Verdummung! Dieses Motto Ludwig Franks haben die Lehrlinge damals
verstanden. Ihnen war klar, dass sie sich zusammen schließen müssen, um
sich wehren zu können", erinnert Veit Dieterich. "Wir stehen heute
zusammen, weil wir für ein Recht auf Bildung und Ausbildung eintreten.
Daher sprechen wir uns für eine sofortige Umsetzung der
Ausbildungsplatzumlage und gegen Studiengebühren aus. Die schroffen
Leistungskürzungen der Sozialversicherungen, unentgeltliche
Arbeitszeitverlängerung und Kürzungen in der Jugendarbeit wollen wir
nicht hinnehmen."

Hintergrund

Die Gedenktafel wurde am 10. Oktober 1974 in einer kleinen Grünanlage
neben dem Wohngebäude Berolinastraße 11 errichtet. Die Tafel verweist
auf das Clubhaus Pachura in der Landsberger Straße 39, das im
proletarisch geprägten Berliner Osten vor dem Ersten Weltkrieg als
Versammlungsort der Berliner Arbeiterbewegung bekannt war. Die
Landsberger Straße verschwand 1966, als das kriegszerstörte Viertel neu
bebaut wurde. Der alte Straßenverlauf ist im Stadtbild nicht mehr zu
erkennen. Die Stele zur Erinnerung an die Vereinsgründung steht
vermutlich nur ungefähr am Standort des längst abgerissenen Clubhauses
Pachura.

Vor genau hundert Jahren kamen am Abend des 10.10.1904 im Klubhaus
Pachura 24 junge Arbeiter und Lehrlinge zur konstituierenden
Mitgliederversammlung des "Vereins der Lehrlinge und jugendlichen
Arbeiter Berlins" zusammen. Die Wortführer waren Max Peters (1888 -
1962) und Helmut Lehmann (1882 - 1959), der zum Vorsitzenden gewählt
wurde. Auslöser für die Vereinsgründung war der Selbstmord des
Schlosserlehrlings Paul Nähring, der im Juni 1904 im Berliner Grunewald
erhängt aufgefunden wurde. Sein Körper war mit Schwielen und Beulen
bedeckt, die - wie Nachforschungen ergaben - von Misshandlungen seines
Lehrmeisters herrührten.

Die Gedenktafel wurde zu einem Zeitpunkt errichtet, als in der DDR die
Ära Ulbricht zu Ende ging und mit der Amtsübernahme Erich Honeckers ein
gewisser Reformoptimismus einher ging. Die Geschichte der
Arbeiterjugendbewegung diente der politischen und ideologischen
Legitimation des politischen Systems der DDR, das von der Staatsführung
in die Tradition der "revolutionären Arbeiterbewegung" gestellt wurde.
Der 70-ste Jahrestag der Vereinsgründung war daher ein günstiger Anlass
für Honecker, um das Selbstbewusstsein des "ersten sozialistischen
Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden" zu zelebrieren. Die
"Junge Welt" dokumentierte eine Rede von Egon Krenz, der den
Jugendverbänden in Westdeutschland die Berechtigung absprach, sich auf
die Gründung des ersten Arbeiterjugendvereins zu beziehen. "Wenn es
heute Kräfte in der SPD der BRD gibt, die die Gründung der ersten
Arbeiterjugendorganisationen auf ihre Fahnen schreiben möchten", sagte
Egon Krenz, "mögen sie nicht vergessen, dass es die opportunistische
Führung der deutschen Sozialdemokratie war, die alles versuchte, damit
sich die organisierte Arbeiterjugendbewegung nicht zu einem
revolutionären Element entwickelt." Die FDJ sei die "wahre Erbin und
würdige Fortsetzerin der revolutionären deutschen
Arbeiterjugendbewegung und sie erweise sich ihres Vermächtnisses
würdig."

Nachdem verschiedene Quellen berichteten, dass die Tafel nach der Wende
1990 abmontiert wurde, prüfte die Sozialistische Jugend Deutschlands -
Die Falken eine Wiederherstellung. Schließlich gilt die Gründung des
Vereins als Beginn der selbst organisierten Arbeiterjugendbewegung und
begründet das hundertjährige Jubiläum der Falken in diesem Jahr.
Gemeinsam mit den Berliner Falken, der DGB-Jugend und den Jusos, die
sich ebenfalls auf diese lebendige Tradition beziehen, einigte man sich,
den historischen Ort im Stadtbild wieder sichtbar zu machen und am
Gründungstag zur feierlichen Enthüllung der wieder hergestellten Tafel
einzuladen. Nun stellte sich zwar bei Recherchen heraus, dass die Tafel
weder aus Bronze noch jemals abgebaut worden war, doch waren
umfangreiche Restaurierungsarbeiten erforderlich, für die die Falken nun
aufgekommen sind.