BPOC-only?! Konzept und Erfahrungsbericht aus dem Landesverband Berlin
BPOC-only?! Konzept und Erfahrungsbericht aus dem Landesverband Berlin
Dieser Artikel ist in der Zeitschrift 24 Stunden No. 36 – Antirassistische Pädagogik vom Bundesverband erschienen.
Von Menina Ugwuoke (LV Berlin)
Wir wachsen in einer Welt auf, in der rassistische Kinderbücher, abwertende Afrikabilder, weiße Perspektiven und weiße Schönheitsideale als ganz »normal« und alltäglich angesehen werden. Alle Vorurteile, Gedanken und Bilder, die dadurch bei uns entstehen, müssen erst einmal enttarnt und reflektiert werden, bevor der Prozess des Ent_ lernens beginnen kann. Dieser Prozess kann unterschiedlich angegangen und ausgelebt werden, aber er wird auf jeden Fall lange andauern und wahrscheinlich sogar nie abgeschlossen werden. Da jede Person sich an einem individuellen Punkt in diesem Prozess befindet, kommt es leider dazu, dass diese Bilder, mehr oder weniger reflektiert, auch mit auf das Sommercamp gebracht werden. Unser Sommercamp soll ja aber eigentlich eine gute Zeit für alle sein: Frei von Sexismus, Homofeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus und allen weiteren -ismen. Wir wollen nicht, dass sich schmerzhafte Diskriminierungs - erfahrungen im Falkenkontext wiederholen müssen. Da dieses Ziel aber momentan unerreichbar ist/scheint, gibt es auf dem Sommercamp der Falken Berlin neben dem Mädchenzelt und dessen empowernden Angeboten und der kritischen Jungenzeit auch die BPOC-only Zeit, die aus Workshops und Treffen für alle schwarzen Teilnehmer*innen besteht. Die Idee hinter diesen Angeboten ist, einen Schutzraum für alle interessierten BPOC's zu schaffen. In erster Linie können in diesem Schutzraum Erfahrungen ausgetauscht, Schwarzes Wissen vermittelt, Lösungsstrategien besprochen und eine schöne Zeit verbracht werden.
Wer, wie, wo, was – BPOC-Zeit auf dem Sommercamp der Falken Berlin
Wer?
Die BPOC-Zeit wird bei den Falken Berlin seit ca. 3 Jahren von zwei Schwarzen Teamerinnen vorbereitet und auf dem Sommercamp durchgeführt. Für diese Form von Empowermentarbeit ist es eine Voraussetzung, dass die Teamer*innen Schwarz/POC sind, da nur so ein Schutzraum geschaffen werden kann! Das Angebot ist offen für alle Schwarzen Teilnehmer*innen, alle die Rassismuserfahrungen machen, alle, die nicht weiß sind. Wir versuchen es, unabhängig vom Alter, allen Kindern und Jugendlichen möglich zu machen, bei der BPOC-Zeit mitzuwirken. Trotzdem ist es manchmal je nach Schwerpunkt sinnvoll, die Gruppe altersmäßig zu unterteilen.
Wo?
Um die Idee von einem Schutzraum verwirklichen zu können, muss es auch ausreichend Raum dafür geben. Dazu gehört einerseits, dass sie zeitlich von Anfang an im Programm fürs Sommercamp eingeplant wird, sodass die Kinder nicht versehentlich von besonderen Campaktivitäten oder der Gruppenzeit ausgeschlossen werden und etwas verpassen und andererseits räumlich: Der Ort sollte für die weißen Camp-Teilnehmer*innen nicht einsichtig sein und außerdem eine gemütliche vertraute Atmosphäre ermöglichen.
Wie – Was? Ideen, Methoden, Vorschläge
Wir beginnen meistens mit einem Kennenlernen; manche lernen sich komplett neu kennen, andere erfahren Dinge über bekannte Personen, die sie vorher nicht wussten. Eine meiner Lieblingsmethoden dafür ist »Die Geschichte meines Namens«, weil Rassismus schon bei dem mehrfachen FalschAussprechen eines Namens und dem ungefragten Vergeben von Spitznamen beginnt/beginnen kann. Eine nähere Auseinandersetzung mit (dem eigenem) Namen ist daher sehr hilfreich um Dinge verstehen und entdecken zu können.
Losgelöst vom Inhaltlichen empfehle ich auch immer »Zwei Wahrheiten und eine Lüge« zu spielen, so, dass alle mit einbezogen werden und die Möglichkeit bekommen, etwas von sich zu erzählen. Dabei schreiben alle Teilnehmenden drei persönliche Dinge auf, von denen zwei wahr und eines gelogen ist. Sie lesen diese Dinge reihum vor und die anderen müssen erraten, was wahr und was gelogen ist.
WIR
Grade für junge Teilnehmer*innen ist es sehr wichtig, gemeinsam zu klären, warum wir uns treffen und was wir genau vorhaben. Dieser Teil soll ein WIR schaffen und gleichzeitig in Erinnerung rufen, dass dieses WIR sehr divers ist. Aus einer gesellschaftlichen Beschreibung »die Anderen« macht die BPOC-Zeit ein WIR.
Begriffe klären & finden, Wörter geben
Oft fehlen einer*m die Worte. Die deutsche Sprache ist voller diskriminierender Begriffe und Sprichwörter. Manchmal möchte ich etwas sagen, aber kenne keinen Begriff, der das beschreibt, was ich sagen möchte. Es ist sehr wichtig über Begriffe zu sprechen. Über die, die wir hören und benutzen, vielleicht ohne zu wissen woher sie kommen und was sie wirklich bedeuten, über die, die wir nie wieder hören wollen und in erster Linie über die, die wir hören möchten. Dabei ist der Begriff der Selbstdefinition besonders wichtig. Nur weil es einen politisch »richtigen« Begriff gibt, ist der nicht automatisch die Selbstbezeichnung, die die Teilnehmer*innen für sich selbst gewählt haben.
Erfahrungen und Wissen austauschen
Die BPOC-Zeit könnte eigentlich auch komplett aus einer Erzählrunde bestehen. Für viele ist es etwas ganz besonderes, in so einer Runde beisammen zu sitzen und fast alles erzählen zu können, ohne dass Menschen dabei sitzen, die (manchmal auch unbewusst) die (Rassismus-) Erfahrungen relativieren oder hinterfragen. Es ist ein großer Fehler zu unterschätzen, was auch schon sechsjährige Kinder mitbekommen. Ihnen fehlen vielleicht noch die Wörter, um diskriminierende Erlebnisse als diese zu betiteln. Die einseitige Betrachtung verschiedener Themen, die vielen verfolgenden Blicke – sie werden nicht dem herrschenden Rassismus zugeordnet, aber sie werden wahrgenommen!
Wie bereits erwähnt, bedeutet BPOC-only jedoch nicht, dass alle Kinder und Jugendlichen die gleichen Erfahrungen machen und die gleiche Meinung haben. Es ist wichtig, dass beim Zusammensitzen dieser Gedanke im Hinterkopf bleibt. Alles, was in der BPOC-Zeit passiert, bleibt auch dort. Ein schon oft benutzter Spruch, aber ein trotzdem wichtiger!
Persönliche Erfahrungen – Motivation, Probleme, Reaktionen, Momente, Tipps
Für mich sind unsere Treffen auf dem Sommercamp unglaublich wichtig geworden. Es sind sehr wertvolle Momente, die wir da gemeinsam erleben und ich habe gemerkt, dass es den Kindern da ähnlich geht. Genau solche Angebote hätte ich mir früher auf jeden Fall auch gewünscht. Es ist leider immer noch nicht leicht als Schwarze Person in Deutschland zu leben und ich möchte so viel wie möglich dazu beitragen, dass es für die Kinder und Jugendlichen leichter wird. Ein großer Teil davon ist für mich, mit ihnen Schwarzes Wissen zu entdecken und uns gegenseitig Neues beizubringen.
Auf dem letzten Sommercamp sind vor allem zwei Probleme aufgetreten.
Zum einen die Reaktionen der weißen Teilnehmer*innen. Es ist wichtig, ihnen zu erklären, warum es diese BPOCZeit gibt und zu hoffen, dass sie es verstehen. Noch viel wichtiger ist aber, dass sie es so hinnehmen und akzeptieren. Trotzdem macht es Sinn, sich vorher ein Konzept bzw. eine Erklärung zurecht zu legen, wie mensch mit diesen Reaktionen umgehen möchte.
Zum anderen ein Problem, was sogar noch etwas grundlegender ist. Wie oben beschrieben, haben die Kinder ganz unterschiedliche Selbstbezeichnungen und das macht es schwer, das Angebot angemessen vorzustellen. Wie erklärt mensch, für wen die BPOC-Zeit ist, ohne ein Kind auszuschließen, das vielleicht einen anderen Begriff für sich gefunden hat und ohne Kinder zu verletzen, weil wir etwas gesagt haben, was sie an diskriminierende Momente erinnert? Mit dieser, aber auch vielen anderen Fragen beschäftigen wir uns gerade.
Ein Tipp an alle Teamer*innen, die keine BPOC-Zeit anbieten können, aus welchen Gründen auch immer: Es gibt andere Schritte, die in eine ähnliche Richtung gehen! Z. B., darauf zu achten, nur intersektionale Kinder- und Jugendbücher vorzulesen. Es gibt so viele schrecklich Kinderbücher, die rassistische und generell diskriminierende Inhalte vermitteln. Und grade Kinderbücher spielen so eine wichtige Rolle in der politischen Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen. Für Buchtipps könnt ihr euch gerne an »audream« wenden. Eine mobile antirassistische Bibliothek, die dieses Jahr von Chima Ugwuoke (Landesvorsitzende des LV Berlin) ins Leben gerufen wurde. Meine persönlichen Lieblingsbücher sind »Amazing Grace« von Mary Hoffman und »I love my hair« von Natasha Anastasia Tarpley.
Ich hoffe, dieser Artikel hilft die antirassistische Praxis bei den Falken weiterzuentwickeln!