Jahresthema 2018 beschlossen
Jahresthema 2018 beschlossen
Kapitalismus, Klasse und Klassismus.
Im Schloss19 in Charlottenburg beschlossen die Berliner Falkinnen auf ihrer Landesdeligiertenkonferenz am 26. November den inhaltlichen Schwerpunkt für 2018. Über das gesamte Jahr wollen wir uns, noch mehr als sonst, in Seminaren und Workshops den Zumutungen des Kapitalismus widmen. Warum es "Klassen" nicht nur in der Schule gibt und wie das mit verschiedenen Diskriminierungsformen zusammenhängt.
>> WIR SIND KLASSE! \<\<
Wie der Kapitalismus unsere Falkenarbeit beeinflusst
Kapitalismus ist eines von vielen Herrschaftssystemen, die uns umgeben. Es durchdringt unsere Gedanken, unsere Handlungen, unser Leben. Und wie jedes Herrschaftssystem hat auch der Kapitalismus negative Auswirkungen auf die meisten Menschen, die von ihm betroffen sind. Als Falken sind wir in unserer Praxis konkret betroffen, so sind beispielsweise unsere Ressourcen limitiert und unsere Aktiven durch Lohnarbeit in ihrem ehrenamtlichen Engagement zeitlich eingeschränkt.
Diese Betroffenheit äußerte sich in jüngerer Zeit vor allem dadurch, dass wir gezwungen waren ein Kinderwochenende abzusagen, weil es uns nicht möglich war den erforderliche Betreuungsschlüssel zu gewährleisten. Dies lag vor allem an der Mehrfachbelastung durch Lohn-, Reproduktions-, Carearbeit und Ehrenamt der Aktiven. Besonders war auch, dass vor allem nicht männliche, Gruppenhelferinnen keine Zeit hatten, worin die Intersektionalität von Kapitalismus und Sexismus deutlich wird. Frauen sind von negativen Folgen des Kapitalismus verstärkt betroffen. Sie bekommen durchschnittlich weniger Lohn als ihre weißen männlichen Kollegen, müssen meist mehr Reproduktions- und Carearbeit leisten und sind einer höheren Belastung durch alltägliche Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt.
Ein weiteres Problem bei unserer Falkenarbeit sind die Teilnahmebeiträge. Die zunehmende wirtschaftliche Prekarisierung von Kindern und Jugendlichen macht es immer mehr von ihnen unmöglich an unseren Maßnahmen teilzunehmen. Obwohl wir uns jedes Jahr anstrengen einen möglichst großen Solifond bereit zu stellen, reicht dieser bei weitem nicht aus, um allen die Teilnahme zu ermöglichen.
Das äußert sich auch in der Zusammensetzung unserer Teilnehmer*innen. Sie sind mehrheitlich aus dem bürgerlichen Milieu, mehrheitlich weiß, mehrheitlich cis-männlich. Natürlich ist auch die Ausgestaltung der Maßnahmen von den finanziellen Ressourcen abhängig. So ist es uns zum Beispiel nur schwer möglich unsere Maßnahmen an Orten durchzuführen, die Barriere arm sind, sodass nicht ableisierten Menschen die Teilnahme kategorisch verwehrt bleibt.
Intersektionalität - Warum Kapitalismus uns unterschiedlich betrifft
In der heutigen komplexen Gesellschaft gibt es eine Vielzahl von Herrschaftsverhältnissen und viele Menschen sind von mehreren in einer negativen Art und Weise betroffen. Das Konzept der Intersektionalität beschreibt die Verschränkung dieser Diskriminierungsformen und versucht das Zusammenwirken dieser zu einer komplexen Betroffenheit jeder einzelnen zu beschreiben. Um diesen komplexen Herrschaftsverhältnissen eine komplexe Alternative entgegen setzen zu können, muss die Analyse dieser Herrschaftsverhältnisse, wie zum Beispiel Kapitalismus, aus verschiedenen gesellschaftlichen Positionen und Perspektiven erfolgen. Damit ist es für uns als herrschafts-und machtkritischer Jugendverband notwendig, jede Thematik aus unseren verschiedenen Positionen zu betrachten. So lässt sich Kapitalismus und dessen Geschichte nicht ohne Kolonialismus, koloniale Kontinuitäten und den dadurch bedingten Rassismus betrachten. Auch patriarchale Strukturen sind eng mit den kapitalistischen verknüpft und bedingen sich gegenseitig. Konkret bedeutet das unterschiedliche Betroffenheiten in vermeintlich gleichen Situationen. Der Zugang zum Wohnungsmarkt in Berlin und anderen großen Städten, wo Immobilienspekulationen die Mieten in unmögliche Höhen treiben, ist eben nicht nur abhängig vom Geldbeutel. Pass und Name sind immer noch Ausschlusskriterien für rassistische Vermieterinnen. Wohnungen, die Barriere arm, gut gelegen und bezahlbar sind, lassen sich so gut wie nie finden. Dieses Beispiel zeigt, dass die negativen Folgen kapitalistischen Wirtschaftens, wie die Konkurrenz um Wohnmöglichkeiten, durch andere Betroffenheiten von Herrschaftsverhältnissen verschärft werden. So verhält es sich für viele Probleme des Kapitalismus. Ohne Reproduktions- und Carearbeit, gebe es den Kapitalismus in der jetzigen Form nicht. Der überwiegende Teil der Reproduktions- und Carearbeit wird von Frauen meistens unbezahlt zusätzlich zur Lohnarbeit geleistet. Auch hier werden Unterschiede bedingt durch unterschiedliche Positionen in den verschiedenen Herrschaftsverhältnissen öfter übersehen. So ist es für reiche, bürgerliche, meist weiße Familien möglich ihre Reproduktions- und Carearbeit von armen, meist migrantisierten Frauen bewältigen zulassen, während arme Frauen eine Mehrfachbelastung durch Lohn, Reproduktions- und Carearbeit ertragen müssen. Kapitalismus tritt mit anderen Herrschaftsverhältnissen in komplexe Wechselwirkungen, die sich individuell auswirken. Wir sind ein emanzipatorischer Kinder und Jugendverband, der „demokratische Erziehung und Bildung junger Menschen auf sozialistischer Grundlage fördern und die Idee des Sozialismus an junge Menschen herantragen will“ (Zweck in unserer Satzung). Sozialismus ist die Idee, die Utopie einer gerechteren Gesellschaft in der jeder wohnen, spielen, essen, arbeiten, lesen einfach leben kann, wie es ihr*ihm gefällt ohne die Grenzen von anderen zu verletzen. Intersektionalität hilft uns heute schon dabei, die Bedürfnisse unserer Kinder und Jugendlichen zu erkennen und ist dabei ein Werkzeug, um unsere Pädagogik so komplex zu gestalten, wie die Gesellschaft in der sie wirken soll.
Klassismus als Erweiterung unserer Kapitalismuskritik
„›Klassismus‹ ist ein bislang noch wenig bekannter Begriff zur Bezeichnung der individuellen, institutionellen und kulturellen Diskriminierung und Unterdrückung aufgrund des tatsächlichen, vermuteten oder zugeschriebenen sozial- oder bildungspolitischen Status.“ (Kemper/Weinbach 2009) Mithilfe eines Begriffes von Klassismus lassen sich Verschränkungen von verschiedenen Diskriminierungsformen besser beschreiben und damit besser bekämpfen. Der Begriff kann strukturelle Diskriminerung beschreiben und eine konkrete Betroffenheit Einzelner benennen ohne sich auf die abstrakte Betroffenheit aller durch den Kapitalismus beziehen zu müssen. Weiterhin dient er zur Differenzierung unterschiedlicher Betroffenheiten in der Masse der Produktionsmittellosen. Die Auseinandersetzung mit Klassismus im Verband fand in den vergangenen Jahren gar nicht statt, während eine Analyse von Kapitalismus notwendig ist, um Sozialismus als Gegenentwurf zu entwickeln. Eine komplexe Kapitalismusanalyse widerspricht de Begriff des Klassismus jedoch nicht. Wir denken beides lässt sich miteinander ergänzen. Ursprüngliche Akkumulation, Privateigentum an Produktionsmitteln, Mehrwert, Lohnarbeit, kapitalistische Warenproduktion, etc. bleiben wichtige Begriffe, um die Entstehung, Funktionen und Folgen der kapitalistischen Gesellschaft zu verstehen. Die Folgen sind nicht zu übersehen: Neoliberale Politik verschärft die Konkurrenz zwischen Nationalstaaten und zwischen Arbeitnehmer*innen, so werden die Lebensverhältnisse immer prekärer. Hier eignet sich nun Klassismus zur Beschreibung struktureller Ausschlüsse von prekarisierten Menschen von gesellschaftlicher Teilhabe. Zum Beispiel ist die Teilnahme der von Klassismus betroffenen Jugendlichen in unserem Verband schwieriger, da sowohl die Mehrheit der Teilnehmenden bürgerlich sozialisiert wurde als auch die Angebote akademisch geprägt sind.
Unsere Ziele und wie wir sie erreichen
Die Teilnehmenden und Teamenden lernen kapitalistische Unterdrückungsmechanismen und Klassismus im Besonderen kennen und reflektieren ihre eigene Position im Herrschaftsverhältnis Kapitalismus. Dafür ist es notwendig, dass sie lernen, Kapitalismus und dessen Entstehungsgeschichte zu analysieren und die Komplexität und Allumfasstheit, die dahinter steht zu verstehen. Um dies für alle zu ermöglichen, muss auf Literatur zurückgegriffen werden, die wenig akademisch und leicht verständlich ist, aber trotzdem komplex Analysen bietet. Die Teilnehmenden bekommen Unterstützung dabei ihre konkrete Lebensrealität (Schule, Ausbildung, Job, Studium) in kapitalistischen Zwängen zu verbessern und lernen den Verband als Mittel zur Verbesserung ihrer individuellen Situation zu nutzen. Um allen Menschen die Teilnahme an unseren Maßnahmen zu ermöglichen müssen wir weiter darauf achten die Kosten für unsere Fahrten und Ausflüge weiter niedrig zu halten. Die Kinder und Jugendlichen aus unseren pädagogischen Einrichtungen sollen besser in unseren Verband eingebunden werden. Das ist durch gezielte Werbung für unsere Fahrten möglich. Langfristig müssen sich Strukturen bilden, die dafür sorgen, dass Klassismus ein stetiger Teil der Reflexion aller Teamenden ist. Die Juleica-Schulungen und -Hefte werden deshalb um einen Abschnitt, der sich mit Klassimus beschäftigt, erweitert. Auf all unseren Maßnahmen und in unseren Einrichtungen müssen sich die Teamenden überlegen, wie sie mit klassistischen Diskriminierungen umgehen und wie diese verhindert werden können.
hier noch ein spaßiger Einstieg ins Thema: youtube.com/watch?v=Vz3eOb6Yl1s