Bedingungsloses Grundeinkommen
Bedingungsloses Grundeinkommen
Her mit dem unbeschwerten Leben!
In: Avanti März 2006
Erstes Szenario
Ottilie Musterfrau ist Ende dreißig und gelernte Kindergärtnerin. Sie
hat drei Kinder und wohnt in Berlin-Neukölln. Bis vor sieben Jahren
hatte sie eine Anstellung in einem Spandauer Kindergarten. Da sie
dreimal in den Mutterschutz ging und ihre Kinder oft krank sind, stand
sie auf der Kündigungsliste bei den Kürzungen ganz oben. Zum Glück hat
sie schnell einen Job in einer Pizzeria in Kreuzberg finden können. Da
kann sie abends und nachts arbeiten, wenn ihre Kinder schlafen.
Schließlich möchte sie wenigstens ein bisschen für die Kinder da sein,
vor allem, weil sie für ihren Jüngsten, Klein-Otto, keinen
Kindergartenplatz bekommen hat. Leider verdient sie dort nur 5,50 € in
der Stunde, aber sie denkt sich: "Besser als gar nichts!"
Vor zwei Jahren musste die Pizzeria Insolvenz anmelden, weil gegenüber
eine Filiale einer imperialistischen Fast-Food-Kette eröffnete. Ottilie
musste sich arbeitslos melden, sie und ihre Kinder Charlotte, Otto und
Klein-Otto wurden zu HartzIV-EmpfängerInnen. Charlotte kann nicht mehr
zum Geigenunterricht gehen und Otto musste vom Basketball abgemeldet
werden. Leider konnte die ganze Familie Musterfrau seitdem auch nicht
mehr in den Sommerurlaub fahren.
Auf dem Arbeitsamt, wohin Ottilie jetzt regelmäßig gehen muss, versuchen
die Sachbearbeiter Ottilies Problem mit Händen und Füßen zu bearbeiten.
Sie haben eine gute Lösung gefunden: Da der Gesetzgeber sie
verpflichtet, Ottilie in ein Beschäftigungsverhältnis zu bringen, darf
sie auf dem zweiten Arbeitsmarkt als Ein-Euro-Jobberin in ihrem
ehemaligen Kindergarten arbeiten! Dort werden nämlich wegen der
Kürzungen Aushilfskräfte gebraucht. Natürlich geht es der Familie
Musterfrau deswegen nur unwesentlich besser, aber wenigstens ist Ottilie
beschäftigt und Charlotte lernt mit Verantwortung umzugehen, da sie nach
der Schule nicht mit ihren Freundinnen abhängt, sondern mit Klein-Otto
auf den Spielplatz oder zum Arzt geht.
Zweites Szenario
Ottilie Musterfrau ist Ende dreißig und gelernte Kindergärtnerin. Sie
hat drei Kinder und wohnt in Berlin-Neukölln. Seit Klein-Otto die
Familie vervollständigte, arbeitet Ottilie nur noch halbtags und hilft
ab und zu in Klein-Ottos Kindergarten mit. Tagsüber geht sie manchmal in
die Volkshochschule und belegt dort Kurse in kreativem Schreiben, das
wollte sie schon immer mal machen. Manchmal besucht sie ihre Mutter im
Seniorenheim, am Mittwoch ist sie sogar den ganzen Tag bei ihr, dann
gehen sie spazieren oder kochen etwas zusammen. Charlotte ist im
Neuköllner Bezirksorchester als Streicherin und fährt im Sommer auf
Orchesterfahrt nach Schweden. Otto spielt in der Bezirksliga Basketball
und engagiert sich als Jugendtrainer. Im Sommer fahren sie mit einer
befreundeten Familie, den Mustermanns, in die Bretagne.
Was unterscheidet das erste Szenario vom zweiten? Im zweiten gibt es
keinen finanziellen Druck mehr. Die Familie kann sich deshalb besser
entfalten. Sie engagiert sich im sozialen Bereich und bildet sich fort.
Wie geht das?
Ottilie und ihre Familie empfangen im zweiten Szenario das
bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Beim bedingungslosen Grundeinkommen
wird die Lohnarbeit vom Einkommen entkoppelt. Jedem in der BRD lebenden
Menschen wird bedingungslos ein monatlicher Betrag überwiesen,
diskutiert sind aktuell Zahlen von 750-1500 Euro.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein unbürokratisches und
transparentes Modell ohne eine erniedrigende Bedarfsprüfung. Es
durchbricht Abhängigkeitsverhältnisse der Jugendlichen von den Eltern
und der Frauen von den Männern, da das Geld nicht mehr dem
"Familienoberhaupt", sondern jedem Menschen individuell ausgezahlt wird.
Des weiteren würde kein Zwang zur Arbeit mehr bestehen, da das
Grundeinkommen ohne Bedingungen ausgezahlt wird und nicht sanktioniert
werden kann.
Wir setzen uns für das BGE ein und hoffen, eine Diskussion um Arbeit und
Ausbeutung anzustoßen.
Josephin Tischner