Utopien intersektional erträumen - Jahresthema 2019
Utopien intersektional erträumen - Jahresthema 2019
Am Sonntag, 18.11.18 hat die jährliche Landesdeligiertenkonferenz (LDK) stattgefunden.
Jedes Jahr wird auf der LDK ein Antrag zum Jahresthema verabschiedet. Das bedeutet, dass im kommenden Jahr der Schwerpunkt der politischen Bildungsarbeit (also Seminare, Workshops...) auf diesem Thema liegen wird. Wir freuen uns, dass der Leitantrag des Landesvorstands zum Jahresthema 2019 in dieser Form angenommen wurde.
Leitantrag 2019: Utopien intersektional erträumen
Kindergarten, Schule, Uni/Ausbildung, Lohnarbeit, Rente. So sieht, wenn auch etwas platt, der vermeintlich ideale Lebenslauf eines Menschen im Kapitalismus aus. Da bleibt oft wenig Zeit zum träumen. Immer wieder merken wir in unserer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, dass sie es verlernt haben zu träumen. Es selbst verlernt oder vielmehr abtrainiert bekommen haben. Das ist erschreckend. Denn träumen, über die gegeben Grenzen hinaus ist nicht nur keine erwünschte Schlüsselqualifikation für die Lohnarbeit, sondern gefährdet den Erhalt des Systems. Genau deshalb dürfen wir es nicht aufgeben. Wenn wir als Sozialist*innen über die gegebenen Grenzen hinausträumen und einen Blick in die vage Zukunft wagen, taucht schnell das Wort Utopie auf. Utopie beschreibt einen perfekten "Nicht-Ort" in der Zukunft, also ein Ort, der weder war noch ist, aber sein könnte.
Unsere tägliche politische Arbeit ist ein Kampf und meistens ein Kampf gegen etwas. Gegen den Naziaufmarsch, gegen das nächste diskriminierende Gesetz oder gegen die herrschenden Zustände im Allgemeinen. Das ist wichtig und gleichzeitig schade, denn wir alle kämpfen aus einem bestimmten Grund: Wir haben eine Vision von einer besseren Gesellschaft, eine Utopie von der wir träumen. Es gibt also neben dem gegen etwas auch ein für etwas. Was unser Grund, unser „wofür“ darstellt, wollen wir herausfinden und damit linke Alternativen in den Mittelpunkt rücken.
Doch um solche eigenen Utopien entwickeln zu können kann es trotzdem sinnvoll sein, im Hier und Jetzt anzusetzen. Das heißt, zu analysieren was uns an der bestehenden Gesellschaft stört und davon ausgehend Alternativen zu entwickeln. Wenn wir Bini Adamczak folgen, die den Kommunismus als ihre Utopie versteht und sagt, dass der Kommunismus im besten Fall alle Übel des Kapitalismus auflöse, ist diese Analyse sogar unabdingbar.
Gleichzeitig ist der harte Kampf gegen die ganze Scheiße anstrengend. Er zermürbt uns, bringt uns an unsere Grenzen und darüber hinaus. Außerdem ist auch die Linke kein gewaltfreier Ort. Kämpfe werden oft unsolidarisch und diskriminierend geführt, schwächen uns zusätzlich und verhindern eine Erholung in vermeintlich "gewaltsensiblen" Räumen. Indem wir unsere Träume wieder in den Fokus rücken, wollen wir der Resignation und Erschöpfung entgegentreten und neue Kraft sammeln.
"[When I dare to be powerful,] I use my strenght in the service of my vision [then it becomes less and less important whether I am afraid.]" - Audre Lorde
Wenn wir Utopie als perfekte Zukunft begreifen, wird schnell deutlich, dass Utopien einen
starken individuellen Moment haben. Was perfekt ist, ist für jede*n anders. Spannend ist deshalb die Analyse, in wie weit unsere individuelle Positionierung in den herrschenden
Machtverhältnissen unsere Vorstellungen von Utopien beeinflusst und welche
Ausschlussmechanismen in der Entwicklung von Utopien stattfinden, die nicht explizit machtkritisch und diskriminierungssensibel sind. Daher muss die Auseinandersetzung mit den eigenen und gemeinsamen Utopien intersektional sein. Das bedeutet für uns, nicht einzelne Herrschaftsverhältnisse wie beispielsweise Kapitalismus oder Patriarchat in der Entwicklung von Utopien mitzudenken und dabei gleichzeitig andere wie Rassismus oder Ableismus auszuklammern.
Als Linke müssen wir gemeinsam kämpfen, um erfolgreich sein zu können. Doch ist das möglich, wenn unsere Visionen so unterschiedlich sind? Wie können wir trotz unterschiedlicher Konzepte von der "perfekten Welt" zusammen kämpfen und erfolgreich sein?
Anarchismus, Kommunismus und Sozialismus können unter anderen als Konzepte verstanden werden, wie die befreite Gesellschaft grundlegend organisiert sein sollte. Doch auch schon innerhalb dieser Konzepte gibt es große unterschiedliche Strömungen und Lesarten. Die Utopien, die sich auf Basis dieser Konzepte entwickeln lassen sind unzählbar. Trotzdem lohnt sich eine Auseinandersetzung mit den oben genannten Konzepten und gegebenen Utopien, also Zukunftsvorstellungen, die konkret formuliert wurden. In wie weit beeinflussen diese unsere aktuelle Arbeit und unsere Visionen? Was wollen wir übernehmen und wovon wollen wir uns abgrenzen?
Wir wollen das träumen nicht vergessen und habe große Lust gemeinsam ganz konkrete Fragen zu diskutieren: Wie wird in der befreiten Gesellschaft mit Gewalt umgegangen? Wie werden transparente und veränderbare Hierarchen gewährleistet? Wie ermöglichen wir allen Menschen eine räumliche Mobilität? Müssen in der befreiten Gesellschaft alle cool miteinander sein? Wie verhindern wir das Entstehen von Diskriminierungen? Braucht es dafür sicherere Räume? Ist in unserer Utopie alles schön und gemütlich? Wie setzen wir die notwendige Arbeit um? Diese Fragen könnten unendlich weiter gehen und viele wichtige wurden nicht genannt. Lasst uns gemeinsam träumen, werkeln, Kraft sammeln und herausfinden wofür wir eigentlich kämpfen!