Zur politischen Bedeutung von Erziehung

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Positionen Zur politischen Bedeutung von Erziehung

in: Avanti Juni 2006

Zur politischen Bedeutung von Erziehung

Bei den Berliner Falken ist es leider Mode geworden, Erziehungsfragen
als "unpolitisch" abzuqualifizieren. (Jüngere) Kinder werden von manchen
Älteren (Kindern) als Ballast betrachtet, ihre Interessen missachtet und
pädagogische Angelegenheiten dem "Spiele-Ring" überlassen. Diese
Entwicklung, die ich hier sicherlich ein bisschen überzeichne, halte ich
für fatal. Denn damit geben wir unsere Identität auf. Die Falken sind
ein Erziehungsverband, und gerade das unterscheidet uns von einer
Vielzahl anderer linker Gruppen! Und deshalb gibt es uns auch noch nach
über 100 Jahren, denn Erziehung ist ein langfristiges Projekt, und ein
Erziehungsverband ist stabiler als kurzfristige Initiativen das sind.

Das ist aber nicht alles. Ich möchte an dieser Stelle einmal versuchen,
unsere pädagogische Arbeit politisch zu begründen. Das kann sicher nur
unvollständig geschehen und ich hoffe, damit den Anstoß zu einer
weiteren Diskussion zu geben.

Zunächst zum Kapitalismus: den lehnen wir ab. Im marxistischen Zirkel
haben wir gelernt, dass es gilt, die materielle Basis dieses
menschenverachtenden Systems zu beseitigen. Also: Das Privateigentum an
Produktionsmitteln gehört abgeschafft. So weit, so gut. Dafür kämpfen
wir politisch in vielfältigen Initiativen, im außerparlamentarischen wie
im parlamentarischen Bereich. Ich glaube aber, dass es noch einige
weitere Möglichkeiten der antikapitalistischen Arbeit gibt. Damit sich
in der Gesellschaft etwas ändern kann, muss es einen Wechsel im
Bewusstsein der Menschen geben. Die Leute müssen überhaupt erst einmal
auf die Idee kommen, dass ein anderes System möglich wäre. Und an dieser
Stelle kommt die Erziehung ins Spiel: Erziehung ist ein zentraler Faktor
im Kampf für eine bessere Gesellschaft! Und Erziehung ist eben unser
Metier, mit Erziehung beschäftigen wir uns theoretisch und praktisch in
den Kinder- und Jugendgruppen.

Um die Erziehung nicht nur den Staatsorganen oder der Kirche zu
überlassen, wurden die Falken einst gegründet. Wir haben uns immer
schon damit beschäftigt, wie das Erziehungswesen, Schule, Uni und noch
mehr im Großen und Ganzen verbessert werden können. Wir machen uns zum
Beispiel Gedanken darüber, wie das dreigliedrige Schulwesen, das im
Prinzip noch aus dem Kaiserreich stammt, Kinder aus "bildungsfernen"
Familien ausschließt. Wir diskutieren, warum sich an den Unis nur die
bildungsbürgerliche Elite reproduziert. Wir erörtern, wie Kinderrechte
im Kapitalismus mit Füßen getreten werden und was das über dieses System
aussagt. Ich würde mir übrigens wünschen, dass wir in Zukunft auch
wieder mehr in der öffentlichen Debatte solcher Fragen zu hören sind!

Wir reden aber nicht nur über Erziehung, wir tun auch was! In unseren
Gruppen und vor allem in den Zeltlagern können Kinder und Jugendliche
real erfahren, was Sozialismus ist. So werden sie stärker in ihrem
politischen Bewusstsein geprägt als durch jedes Buch oder Flugblatt, das
vielleicht mal an der Schule oder Uni rumflattert. Für uns Falken ist
"Sozialismus" mehr als nur ein Schlagwort. Wir leben sozialistische
Prinzipien in der basisdemokratischen Verwaltung der Zeltlager und des
ganzen Verbandes. Kapitalistischem Konsumterror setzen wir eine
alternative Kultur entgegen. Wir machen Urlaubsreisen für Kinder
möglich, die sich so was zu normalen Preisen niemals leisten könnten.
Die Ausschlusslogik des Kapitalismus ist hier außer Kraft gesetzt. - So
erreichen wir übrigens auch Menschen aus sozialen Schichten, die man
sonst nirgends in politischen Verbänden findet! Das ist eine extrem
wichtige politische Aufgabe, damit sich die Linke nicht in elitären
AbiturientInnen- und StudentInnenzirkeln immer nur um sich selbst dreht.

  • Wir bemühen uns um eine fortschrittliche Pädagogik in den Gruppen: um
    Respekt, Verantwortung für die Gemeinschaft und die freie Entfaltung
    jedes Einzelnen. Und wir lernen dabei ständig dazu. Erziehung ist dabei
    immer auch Selbsterziehung, und auch für SJ'ler und GL's geht es bei den
    Falken vor allem darum, sich zu bilden. Das alles ist demokratische, das
    ist sozialistische Erziehung, und das ist hochpolitisch!

Die Falken sind ein sehr vielfältiger Verband. In der "linken Szene"
sind wir fest verankert, SJ-Gruppen sind bei Aktionen präsent, führen
politische Diskussionen auf hohem Niveau und bilden sich dabei weiter.
Im F-Ring machen wir eine großartige Arbeit, die Kindern aus
verschiedensten Milieus eine Perspektive eröffnet, die über die
Gesellschaft hinausweist, die sie kennen. Aus manchem F'ler wird einmal
ein politisch bewusster Mensch, der in der einen oder anderen Weise
seinen Beitrag leistet.

Es gilt also festzuhalten: Erziehung ist an sich politisch, unpolitische
Erziehung gibt es nicht. Erziehung ist der Kern unserer Verbandsarbeit,
und das ist konkrete, sozialistische Politik!

Manuel Honisch